ZEIT Wissen 2015 02.pdf

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ZEIT WISSEN
7 SÜNDEN DER MODERNE
4 196700 205909
4 196700 205909
02
02
NR. 02
Februar
März 2015
1. POLITIK
ohne Prinzipien
2. REICHTUM
ohne Arbeit
3. GENUSS
ohne Gewissen
4. WISSEN
ohne Charakter
5. GESCHÄFT
ohne Moral
6. WISSENSCHAFT
ohne Menschlichkeit
7. RELIGION
ohne Opfer
Der junge Gandhi
in London
COGS
DIE KLUGEN
NACHFOLGER
DER APPS
5,90 EURO 
Österreich, Benelux, Italien, Spanien, Portugal, Frankreich 6,40 € — Schweiz 10,90 sfr
Mahatma Gandhi:
VON GANDHI
1925 FORMULIERT
Von ZEIT Wissen-Autoren
in die Gegenwart
projiziert
SÜNDEN
7
MODERNEN
DER
GESELLSCHAFT
Die neue Serie zur Wertediskussion
EDITORIAL
BETRETEN VERBOTEN?
Ein Mann steigt aus seinem Auto, zwei Buben hinterher. Sie
holen aus dem Kofferraum einen Fußball und gehen gut gelaunt
auf ein parkähnliches Gelände neben der Straße zu. Einer der
Buben, ich, macht den Vater auf ein Schild aufmerksam: »Betre-
ten des Rasens verboten!« Ich weiß noch genau: Mein Vater
blieb davor stehen, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte:
»Nur weil es verboten ist, heißt das noch lange nicht, dass man es nicht machen kann.«
Er sagte auch noch: »Das gilt für alles im Leben.« Wir haben dann Fußball gespielt,
unbehelligt übrigens, aber später noch mehrmals und intensiv in der Familie über dieses
Thema diskutiert. Es wurde schnell grundsätzlich, ging um die Verantwortung für das
eigene Verhalten, den Widerstand gegen Regeln und Gesetze – und die Frage, wann der
angebracht ist. Dabei hörte ich von meinen Eltern zum ersten Mal den Namen Mahatma
Gandhi. Bisschen groß der Name für den kleinen Rasen? Sicher. Wenn ich heute unter
einem Parkverbotsschild mein Auto abstelle, denke ich an meinen Vater, nicht an
Gandhi. Wenn ich allerdings die aktuellen Nachrichten verfolge ...
Liebe Leserin und lieber Leser, was geht in Ihnen vor, wenn Sie sehen, was Mahatma
Gandhi als die »sieben Sünden der modernen Gesellschaft« bezeichnet hat? Haben
Sie auch das Gefühl, seine Analyse ist heute noch ziemlich treffend? Bitte schreiben Sie
uns Ihre Meinung zur neuen Serie in ZEIT Wissen. Wir haben hochkarätige Autoren
gebeten, Gandhis Sätze in die Gegenwart zu holen. Über ihre Texte lässt sich gut streiten.
Foto
Vera Tammen; Anissa Brinkhoff; Yasena Popova
Andreas Lebert,
Chefredakteur
AUS DER REDAKTION
Rike Uhlenkamp
trug als ZEIT Wissen-Autorin in der
Redaktionskonferenz die sieben Sünden der
modernen Gesellschaft vor – und alle wollten wissen,
wer diese so genial einfach formuliert hat. Rike
lächelte: »Ein Inder vor 90 Jahren.« Fünf Minuten
später war ihre Idee beschlossene Sache (Seite 20).
Titelfoto
Archiv Peter Ruehe / AKG Images
Yasena Popova
,
im Hauptberuf Architektin in Sofia,
fotografierte für ihre Serie »Urban Insects« Fahrzeuge
von unten. Ein Motorrad zog Popova mit ihrem
Auto an einem Baum in die Höhe, Autos stellte sie auf
eine Hebebühne. Aber Radlader und Lastwagen?
Dafür holte sie sich Hilfe bei einer Baufirma (Seite 84).
INHALT
FORSCHUNG &
TECHNIK
GESUNDHEIT &
PSYCHOLOGIE
UMWELT &
GESELLSCHAFT
Umdrehen
Die spannende Seite der Autos  S. 84
Verstehen
Welche Bedürfnisse hat Leni?  S. 36
Reisen
Sind wir zu Wasser glücklicher?  S. 76
6
Am Anfang drei Fragen
36
Leni, 570 Gramm
34
On_Off
Verlieren wir durch Navis unseren
Orientierungssinn?
Warum haben wir kaum Wörter für
Gerüche und Geschmacksrichtungen?
Verdirbt Siegen den Charakter?
64
Die Cogs kommen
Sie kam viel zu früh auf die Welt –
und könnte doch unbeschadet groß
werden. Dank einer neuen Idee
56
44
Spanisch macht extrovertiert
Das Netz lullt uns ein. Eine Hand-
reichung zum Verlassen der Filterblase
Rot!
Beim Arzt, beim Einkaufen, bei der
Bank: Bald werden sich Superintelli-
genzen in unser Leben einschalten
50
74
Arbeitsunterlage
Wer eine fremde Sprache spricht,
verhält sich anders als gewöhnlich.
Erwerben wir mit jeder neuen
Sprache auch eine neue Seele?
ZEIT WISSEN-GESPRÄCH
Das Marshmallow-Orakel
Trendfarbe des Sommers: Marsala.
Über Risiken und Nebenwirkungen
informiert die Wissenschaft
68
Die Welt verbessern.
Schon wieder? Gern!
Fotos
Yasena Popova; Katrin Binner; Corbis
Diesmal: Sind Männer-Frauen-Teams
besser fürs Unternehmen?
82
Das gute Bild
Walter Mischel trifft Vorhersagen
über Karriere und Lebensglück –
mithilfe von Süßigkeiten
88
DOSSIER
Das Alphabet der Nacht
Repair Café, Solarkiosk, Biofashion:
Das sind die Nominierten für den
ZEIT Wissen-Nachhaltigkeitspreis
76
Meditation über die Schiffsreise
Neues aus der Welt der Fotografie
84
Die Asphalt-Perspektive
Entschleunigen und doch in
Bewegung bleiben: Auf See lassen
sich beide Sehnsüchte verbinden
104 Optimist – Pessimist
Die Unterseite von Fahrzeugen ist
besser als ihr Ruf. Höchste Zeit, sie
näher kennenzulernen
Was passiert mit uns Menschen,
wenn die Dunkelheit hereinbricht?
Die Nacht – von Z wie Zubettgehen
bis A wie Aufstehen
Sollen Gesunde Medikamente
nehmen, um das Altern zu verzögern?
RUBRIKEN
3
12
16
18
49
96
100
101
103
106
Editorial
Magazin
U-Acht
Ü-Achtzig
Geordnete Verhältnisse
Bücher
Gadgets
Apps
Rätsel/Impressum
Die Welt aus der Sicht …
UNSERE
RECHERCHE-
QUELLEN
Studien, Bücher, Artikel,
Dokumente: Die Quellen,
die wir für unsere
Recherchen genutzt haben,
finden Sie online unter
www.zeit-wissen.de/0215quellen
zu diesen Texten:
Foto
Artwork: Peter Combe; fotografiert von RC Rivera
TITEL
7 Sünden der
modernen Gesellschaft
20
Die neue Serie zur Wertediskussion
Am Anfang drei Fragen
Die Cogs kommen
Die Asphalt-Perspektive
Leni, 570 Gramm
Spanisch macht extrovertiert
Dossier: Das Alphabet der Nacht
Rot: Wie eine Farbe unser
Leben beeinflusst
Mahatma Gandhi formulierte 1925 »sieben Sünden«.
Was sie heute für uns bedeuten, diskutieren ZEIT Wissen-
Autoren. Die ersten beiden Thesen:
26 Politik ohne Prinzipien
Bernd Ulrich erklärt die heikle
Wechselwirkung zwischen Prinzipientreue und Demokratie
30 Wissenschaft ohne Menschlichkeit
Der Glücksforscher
Bruno Frey verteidigt die Forschung gegen die Ökonomisierung
AM ANFANG DREI FRAGEN
1. Verlieren wir durch Navis
unseren Orientierungssinn?
Wenn die Stimme im Navigationsgerät
ausfällt, sagt niemand mehr:
»Wenn
möglich,
bitte wenden!« Laufen wir dann ins Leere?
Text
Cornelia Weber
Foto
Stephen Gill
M
anche Menschen haben einfach kei-
nen Orientierungssinn. Trotz Navi
landen sie in Duisburg statt auf Rü-
gen, wie eine Hamburgerin im ver-
gangenen Jahr. Sie hatte die Adresse
ihres Reiseanbieters eingegeben und
nicht das Urlaubsziel. Bemerkt hat sie das aber erst bei
der Konzernzentrale. Dabei hatte sie noch Glück. An-
dere sind geradewegs in einen See gerauscht: »Sie haben
Ihr Ziel erreicht.« Navigationsgeräte haben unsere Kurz-
trips, Fernreisen und Beziehungskrisen ganz schön ver-
ändert. Kann es sein, dass wir per GPS unseren Verstand
ausschalten, gar unseren Orientierungssinn verlieren?
Stefan Münzer will mit Klischees aufräumen. Ers-
tens, so der Psychologe von der Universität Mannheim,
können sich Frauen genauso gut oder schlecht orien-
tieren wie Männer. Zweitens: Wer glaubt, sich in neuen
Umgebungen zu verirren, tut das zwar tatsächlich – das
sei aber eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Weil es
drittens einen Sinn für Orientierung wie etwa einen Ge-
ruchssinn gar nicht gibt. »Sich im Raum zu orientieren
setzt ein Bündel an Fähigkeiten voraus«, sagt Münzer.
Und die kann man trainieren, schon als Kind.
Während wir uns orientieren, nutzen wir unser
Erinnerungs- und Vorstellungsvermögen, bauen daraus
mentale Karten. Menschen bedienen sich dabei dreier
Strategien. Da ist einmal die egozentrische Perspektive:
Man setzt Gebäude in Beziehung zum eigenen Standort,
um sich so einen Weg zu merken. Wem es gelingt, den
allozentrischen Blickwinkel einzunehmen, der betrach-
tet die Route aus der Vogelperspektive. In der Königs-
klasse spielt, wer metrisch navigiert und sich nach Nor-
den oder Süden ausrichtet. Was derweil in unserem
Gehirn passiert, haben Wissenschaftler an Ratten er-
forscht – und 2014 den Nobelpreis dafür erhalten: Der
britische Hirnforscher John O’Keefe entdeckte in den
1970er Jahren Ortszellen im Hippocampus, einem für
das Gedächtnis wichtigen Hirnbereich. Sie speichern
Erinnerungen an Orte als neuronale Aktivitäten, erstel-
len so eine innere Landkarte der Umgebung. 30 Jahre
später stieß das norwegische Ehepaar May-Britt und
Edvard Moser auf die zweite Komponente: Gitterzellen
am Rand des Schläfenlappens bilden jene Orte als
Punkte in einem Koordinatensystem ab. Gemeinsam
wirken die Zellen wie ein inneres GPS im Gehirn.
Sind die Fähigkeiten zur Orientierung nun ange-
boren oder erlernt? Sie scheinen weitervererbt zu wer-
den, sagen Hirnforscher. Sie sind aber nicht unverän-
derlich, sagen Psychologen. Wie ausbaufähig mentale
Kompetenzen sind, zeigt eine Studie aus London. Taxi-
fahrer weisen hier einen größeren Hippocampus auf als
Busfahrer. Der Grund: Sie müssen sich weit komplexere
Wege merken als bloß Busrouten. Bei Vögeln ist dieser
Hirnbereich im Winter größer als im Sommer, weil sie
in der kalten Jahreszeit ihre Futterdepots wiederfinden
müssen. Denn Zellen entwickeln sich ständig neu.
Wer dem Navi also blind vertraut, der Stimme nur
brav nach rechts oder links folgt, der neigt tatsächlich
dazu, Fähigkeiten zur Orientierung zu verlieren. Weil
er sie nicht trainiert. »Die meisten Menschen achten zu
wenig auf ihre Umgebung«, sagt der Psychologe Münzer.
In Experimenten fand er heraus: Navi-Nutzer entwickeln
eine Art kognitive Trägheit. Wer hingegen etwas über
seine Umgebung lernt, baut eine mentale Karte auf. Zu-
sammen mit der Geoinformatikerin Angela Schwering
von der Universität Münster will Münzer darum ein
Navigationsgerät entwickeln, das räumliches Lernen
fördert: Überblickswissen mitliefert. Stadtkarten etwa
soll es schematisch anzeigen, mit Rathaus, Dom und
Fluss – damit man sich den Weg auch vorstellen kann.
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