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»D as K a p ita l h a t e in e n H o r r o r
v o r A b w e s e n h e it von P r o fit. M it e n t­
s p re c h e n d e m P r o f it w ird K a p ita l
k ü h n . F ü r 1 0 0 P r o z e n t s t a m p f t es a l le
m e n s c h lic h e n G e s e tz e u n t e r s e in e n
F u ß ; 3 0 0 P r o z e n t , u n d es e x i s t i e r t
k e i n V e r b r e c h e n , d a s es n i c h t r i s k i e r t ,
s e lb s t a u f G e fa h r des G a lg e n s .«
T h o m a s Jo sep h D u n n in g (1799-1873),
englischer Gewerkschaftsfunktionär, zitiert nach
Karl M arx, »Das Kapital
«
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser
ahrscheinlich hat noch kein von M enschen
erdachtes System - keine Religion, keine Ideo­
logie, keine Philosophie - die W elt je so um­
fassend verändert wie der Kapitalismus.
Denn erstens ist dieses Wirtschaftssystem anders als etwa
das Christentum oder der Kommunismus wahrhaft global. Die
Kaffeepflückerin in Angola, der Programmierer im Silicon
Valley, die Stahlarbeiter in China, Japan, Russland: Sie alle sind
Teil von internationalen Märkten. Und die Friseurin in Bang­
kok oder der Verkäufer auf dem Hamburger Gemüsemarkt
konkurrieren mit ihren jeweiligen Nachbarn nebenan, die das
gleiche Produkt, die gleiche Dienstleistung anbieten.
Darüber hinaus schafft der Kapitalismus seit Jahrhun­
derten immer wieder Anreize für Erfindungen, die das Antlitz
der Erde dramatisch verändert haben: von der Infrastruktur
(Eisenbahntrassen, Straßen, Containerhäfen) über den Abbau
von Bodenschätzen, der ganze Landschaften umgepflügt hat,
bis zu den Industriestädten, die um Fabriken herum wucherten.
Und schließlich berührt er nicht nur die Sphäre der Gü­
terproduktion, sondern hat die Tendenz, alles zur W are zu
machen: die Kommunikation (weil Telefone und Gesprächs­
zeiten Geld kosten), die Kultur (Bücher und Kinofilme sind
Produkte, die in der Regel Profit machen sollen), ja selbst die
Liebe (wie zumindest Ökonomen postulieren, die Liebe und
Ehe als gewinnorientierte Zusammenschlüsse von Menschen
betrachten, vergleichbar etwa Firmenfusionen).
Dabei sind die Ursachen für den Triumph dieser W irt­
schaftsordnung im Grunde genommen sehr einfach: Der Ka­
pitalismus beruht auf zwei der stärksten menschlichen Emo­
tionen - Gier und Angst. Die Gier befeuert das Streben nach
Gewinn. W eil aber die hohen Profite des einen M arktteilneh­
mers andere anlocken, entsteht Wettbewerb. Und im Konkur­
renzkampf kann nur überleben, wer seine Ressourcen ökono­
misch einsetzt, innovativ und einfallsreich ist. W er hingegen
zu teuer produziert oder an der Nachfrage vorbei, wird ver­
drängt. Das ist die permanente Angst der Akteure.
Dieser ständige Druck, gespeist aus dem Drang zu immer
größerem Gewinn sowie der Furcht vor dem wirtschaftlichen
Untergang, erklärt die unvergleichbare Produktivität der kapi­
talistischen Marktwirtschaft. Dieser Druck lastet auf allen A n­
bietern, ob sie Brötchen,
Werkzeugmaschinen oder
Autos verkaufen. Oder ihre
Arbeitskraft.
Und er erklärt auch
die Krisenanfälligkeit des
Kapitalismus.
Denn unkontrollier­
tes Gewinnstreben, ver­
bunden m it einer immer
w eiter wachsenden Ge­
Konzeption
schwindigkeit des W an­
H eftredakteur Jens-Rainer Berg (M .)
dels und der Universalität
wurde beraten von Dr. Carsten
der W irtschaftsordnung,
Pallas (I.) und C h ris to f Jeggle
W
lässt nationale Krisen wieder und wieder zu weltweiten Kata­
strophen anschwellen. So wie 1929, als dem Börsencrash an der
W all Street eine jahrelange globale Depression folgte. Oder im
Jahr 2007, als das Platzen einer Immobilienblase in den USA
eine dramatische Finanzkrise auslöste, die schließlich ganze
Staaten in die Pleite zu stürzen drohte (und die noch lange
nicht ausgestanden ist).
Über die Finanzkrise - und das Zeitalter der Gier, das ihr
vorangegangen ist - werden Sie ab Seite 126 einen Beitrag
finden, der zu den längsten gehört, die wir je in GEOEPOCHE
gedruckt haben. Denn an dem folgenreichen Untergang der
Investmentbank Lehman Brothers lässt sich exemplarisch zei­
gen, was geschehen kann, wenn bestimmte Marktteilnehmer
im Kapitalismus nicht überwacht, reguliert und für mögliche
Verstöße zur Verantwortung gezogen werden.
Zudem haben wir großen W ert darauf gelegt, die hoch­
komplexe Hintergrundgeschichte der Lehman-Pleite auch für
Laien nachvollziehbar aufzubereiten. Ich gestehe: Erst durch
diesen Beitrag habe ich richtig verstanden, wie brandgefährlich
die Finanzprodukte waren, die sich die W all-Street-Banker
hatten einfallen lassen, und wie grotesk zum Teil die Geschäfts­
modelle, die sich hinter CDOs, CDS und RM BS verbargen.
Momentan ist weit und breit keine Alternative zum ka­
pitalistischen System zu erkennen; alle sozialistischen Staaten
sind gescheitert (wie etwa die Sowjetunion), sind gerade dabei
zu scheitern (wie Kuba) oder haben sich längst (wie China) auf
den W eg in eine vom Profitdenken diktierte Gesellschaft ge­
macht. Und selbst die schärfsten Kritiker des Kapitalismus tun
sich schwer, einen anderen W eg zu weisen.
A ber ebenso klar ist - zum indest meiner M einung
nach - , dass die Verfechter einer radikalen, von der Regierung
und Aufsichtsbehörden mehr oder minder unkontrollierten
M arktwirtschaft eine falsche Richtung einschlagen. Dass es
vielmehr darum gehen muss, die Interessen der verschiedenen
Gruppen einer Gesellschaft vernünftig und fair auszutarie­
ren - mehr noch: die Interessen der Menschen in den verschie­
denen Regionen einer globalisierten und wirtschaftlich eng
vernetzten Welt.
Damit es solche Exzesse wie an der W all Street oder in
den Ausbeutungsfabriken der sogenannten Dritten W elt eines
Tages nicht mehr gibt.
Herzlich Ihr
M ichael Schaper
GEO E P O C H E Kapitalism us
3
FLORENZ
In der toskanischen
Metropole entsteht
um 1300 ein
Bank­
wesen, das Kaufleuten risikoreiche,
lukrative Geschäfte ermöglicht.
gründen Nieder­
länder die Vereinigte Ostindien-Kompanie
- die weltweit erste Firma, die sich durch
börsengehandelte Aktien finanziert.
1600
FERNHANDEL
Um
GEWINNSTREBEN
Im
14.
Jahrhundert entwickelt sich in Italien ein Wirtschafts­
system, das die Welt von Grund auf verändern wird: der Kapitalismus. War über
Jahrtausende die Selbstversorgung die primäre Aufgabe des Wirtschaftens, beginnen
Kaufleute nun, sich den möglichst großen Zugewinn zum Ziel zu setzen.
KARL MARX
In England beobachtet
der deutsche Philosoph das Elend
der Industriearbeiter - und wird zum
schärfsten Kritiker des Kapitalismus.
GROSSBRITANNIEN
Mit der brutalen
Entmachtung der Gewerkschaften setzt die
Regierung von Margaret Thatcher
1984
die Ideen des Neoliberalismus um.
FINANZBRANCHE
Unbehelligt von der
Politik, wagen die Banker an der Wall Street
immer irrwitzigere Wetten - bis die Gier
2008
zum Absturz führt.
4
GEO E P O C H E Kapitalism us
INHALT
#
69
KAPITALISMUS DIE M A C H T DES PROFITS
Im
14 .
Jahrhundert entsteht ein Wirtschaftssystem, das auf maxi­
male Gewinne zielt. Und die Welt für immer verändern wird
6
NEOLIBERALISMUS, 1984 THATCHERS REVOLUTIO N
Die Premierministerin will mehr Wettbewerb - und besiegelt
brachial das Ende des Wohlfahrtsstaates
106
FLORENZ, UM 1 3 0 0 DIE ERSTEN KAPITALISTEN
Damit aus ihrem Geld mehr Geld wird, wagen italienische
Bankiers und Händler immer kompliziertere Transaktionen.........22
GLO BALISIERUNG , UM 199 0 HAN D E L OHNE GRENZEN
Die Liberalisierung der Wirtschaft vernetzt die Märkte der
Welt. Doch der Wandel geht zu Lasten der Schwachen............122
Z A H LU N G S M IT TE L DIE E V O LU TIO N DES GELDES
Zunächst in Münzform, dann auf Papier gedruckt, heute
oft digital: Geld ist der Treibstoff des Kapitalismus.....................30
FIN AN ZKA P ITA LIS M U S IM ZEITALTER DER GIER
Nie sind die Spekulationen der Finanzbranche so ungezügelt
wie zwischen
1 987
und
2 0 0 8
- mit fatalen Folgen..................... 126
H AN D E L, UM 1 6 0 0 M IT GEWEHR U N D G O LDW AAG E
Als erste moderne Aktiengesellschaft der Welt erobert die Ver­
einigte Ostindien-Kompanie das Gewürzgeschäft mit Asien.....4 0
ZEITLEISTE DATEN U ND F A K T E N ...................................160
Bildquellen...................................................................................167
KARL MARX, 1867 SYSTEM DER AUSBEUTUNG
In seinem Hauptwerk analysiert der deutsche Philosoph den
Industriekapitalismus - und prophezeit dessen Untergang......... 56
Die Welt von G E O ..................................................................... 168
Impressum.................................................................................... 171
RÄUBERBARONE, UM 1 880 DAS PRINZIP ROCKEFELLER
Der US-Olmagnat John D. Rockefeller wird Ende des
19.
Jahr­
hunderts zum Inbegriff des rücksichtslosen Kapitalisten............. 74
VO RSCHAU
KARL DER GROSSE UND DAS REICH
DER DEUTSCHEN
172
GROSSE DEPRESSION, 1929 DER SYSTEMAUSFALL
Lange Zeit gilt: Nach der Krise kommt bald der Aufschwung.
Bis zum Tag, an dem die Wall Street einbricht............................ 90
Ein Verzeichnis mit den Themen aller
GEOEPOCHf-Ausgaben sowie einen Briefkasten
für Leserzuschriften finden Sie unter
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BRD, AB 1949 GEZÄHM TER KAPITALISMUS
Das Wirtschaftssystem der jungen Bundesrepublik steht
für eine sozialere Gesellschaft - zu Recht?................................104
T it e lb ild : »The E xp e rt« vo n C a rl Barks. A lle F a k te n , D a te n und K a rten in d ie se r A u s g a b e sind vo m G E O E P O C H E -V e rifik a tio n s te a m a u f ih re R ic h tig k e it ü b e rp rü ft
w o rd e n . K ü rzu n g e n in Z it a t e n sind n ic h t k e n n tlic h g e m a c h t. R e d a k tio n s s c h lu s s :
2 6 .
S e p te m b e r
2 01 4
GEO EPOC HE K a p ita lis m u s
5
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