Roberts_Nora - Mac Gregors 02 - Ein Song für Duncan.pdf

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Ein Song für Duncan
Nora Roberts
Julia Nora Roberts Festival
1. KAPITEL
Duncan Blade spielte nach Plan. Ob die Gewinnchancen hoch oder
niedrig waren, erschien ihm nicht so wichtig. Hauptsache, er kannte
sie und der Topf war voll genug.
Und er war ein Mann, der es liebte zu gewinnen.
Spielen lag ihm im Blut, sowohl von der MacGregor’schen Fami-
lienseite – schottische Vorfahren – wie auch von der Blade’schen
Seite – indianische Vorfahren. Nichts hätte besser zu ihm gepasst, als
die „Comanche Princess“ zu leiten. Das allein war schon ein Spiel.
Seine Eltern hatten ihr ganzes Leben lang Hotelcasinos auf festem
Boden betrieben. In Atlantic City, Vegas, Reno und noch in vielen
anderen Städten. Der Casino-Dampfer war für Duncan lange Zeit ein
Traum gewesen, und jetzt, wo er ihn verwirklicht hatte, verstand er,
dass seine Eltern auf seine Geschäftstüchtigkeit bauten.
Er hatte nicht die Absicht, sie zu enttäuschen.
Die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans geschoben, stand er
in Saint Louis am Kai und betrachtete wohlgefällig seine „große
Liebe“.
Die „Princess“ mit dem langen, schnittigen Rumpf, den weiträu-
migen Decks und den reich verzierten Relings war eine Schönheit.
Man hatte sie den alten Schaufelraddampfern nachgebaut, die früher
voll beladen mit Passagieren, Waren und Glücksspielern den Missis-
sippi hinauf- und hinuntergefahren waren. Von außen war sie
schneeweiß und die Innenausstattung von einem leuchtenden Rot.
Unter dem Charme, den sie ausstrahlte, verbarg sich Solidität. Und
mit der Soli di tat ging Luxus einher.
Duncan wollte, dass sich seine Gäste entspannten und amüsier-
ten. Das Essen war reichlich und von bester Qualität, das Unterhal-
tungsgebot auf der Höhe der Zeit und erstklassig. Die Kabinen wa-
ren, je nach Wunsch und Geldbeutel, gemütlich bis verschwende-
risch ausgestattet. Alle drei Salons boten eine atemberaubende Aus-
sicht auf den Fluss.
Und das Casino… nun, das Casino war schließlich das Herzstück
von allem. Die Passagiere bezahlten für die Fahrt und für die Chance
zu gewinnen.
Die „Princess“ fuhr von Saint Louis nach New Orleans, mit Zwi-
schenstopps in Memphis und Natchez. Diejenigen, die sich entschie-
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den, während der gesamten zweiwöchigen Fahrt an Bord zu bleiben,
brauchten keine Angst zu haben, dass sie sich langweilten. Und
gleichviel, ob sie das Schiff als Gewinner oder Verlierer verließen,
hatte Duncan doch dafür gesorgt, dass sie für ihr Geld etwas beka-
men.
Im Augenblick freute er sich schon auf die nächste Fahrt. Die Be-
legschaft bewegte sich geschäftig um ihn herum und belud in der
mörderischen Julihitze das Schiff mit allem, was für die zweiwöchi-
ge Kreuzfahrt erforderlich war. Auch auf ihn wartete Arbeit in sei-
nem Büro – es war eine Menge Papierkram zu erledigen –, aber er
wollte sich diesen kurzen Augenblick der Ruhe gönnen. An Bord
schrubbten andere Mitglieder die Decks, frischten Farbe auf, wiener-
ten Messing blank und polierten Gläser.
Am späten Nachmittag, wenn die erwartungsfrohen Passagiere
über die Landungsbrücke in den Bauch der „Princess“ strömten,
würde sie in frischem Glanz erstrahlen.
Alles war bereit. Fast.
Duncan kniff hinter den dunklen Gläsern seiner Sonnenbrille die
Augen zusammen. Die neue Sängerin, die er unter Vertrag genom-
men hatte, war bis jetzt noch nicht auf der Bildfläche erschienen. Sie
hatte mittlerweile vierundzwanzig Stunden Verspätung. Und wenn
sie binnen der nächsten vier Stunden nicht auftauchte, würde ihnen
nichts anderes übrig bleiben, als ohne sie abzulegen.
Er spürte Verärgerung in sich aufsteigen, die ihm für einen Mo-
ment seine Vorfreude nahm. Duncan zog sein Handy aus der Tasche
und rief noch einmal Cat Farrells Agenten an.
Während er darauf wartete, dass die Verbindung zu Stande kam,
wanderte er mit langen, federnden Schritten am Kai auf und ab. Er
war eine auffallende Erscheinung: groß, schlank und mit einer bron-
zefarbenen Haut. Seine Augen mit den schweren Lidern und den
langen, dichten Wimpern waren dunkelbraun, die Haare tiefschwarz
und glatt wie die seiner indianischen Vorfahren. Sein Gesicht war
schmal, mit hohen Wangenknochen und einer langen, geraden Nase.
Sein Mund mit den vollen Lippen verriet Entschlossenheit und war
wie geschaffen für schnell aufblitzende Lächeln.
Aber im Augenblick lächelte er nicht. „Cicero? Blade hier. Wo,
zum Teufel, bleibt mein Talent?“
Die Verkehrsgeräusche von Brooklyn kamen über die Leitung,
während Cicero eine Antwort winselte. „Sie ist immer noch nicht
da? He, ich kann mich dafür verbürgen, dass die Kleine zuverlässig
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ist. Irgendetwas hat sie aufgehalten, das ist alles. Ganz bestimmt
kreuzt sie jeden Moment auf, und wenn Sie sie sehen, sind Sie total
von den Socken, das schwöre ich Ihnen.“
„Kumpel, Sie haben mir garantiert, dass sie gestern Mittag an-
kommen sollte. Sie hat heute Abend ihren ersten Auftritt. Halten Sie
denn mit Ihren Klienten keinen Kontakt?“
„Doch, klar, aber Cat… na ja, sie hat eben ihren eigenen Kopf.
Aber sie ist jeden Penny, den Sie ihr zahlen, wert, darauf können Sie
wetten. Mehr noch. Ihr Stern ist gerade erst am Aufgehen. Geben Sie
ihr noch ein Jahr und…“
„Verflucht noch mal, mich interessiert nicht, was nächstes Jahr
ist, Cicero. Jetzt ist jetzt. Und genau jetzt sehe ich Ihre Klientin
nicht.“
„Sie kommt schon noch. Ganz bestimmt, verlassen Sie sich dar-
auf. Hören Sie, Ihr Bruder war sehr zufrieden mit ihr, sie hat das
Publikum in Vegas vom Hocker gerissen.“
„Mein Bruder hat wesentlich mehr Geduld als ich. Wenn sie in
einer Stunde nicht da ist, verklage ich Sie wegen Vertragsbruch. Ich
kann in solchen Fällen ziemlich unangenehm werden.“
Duncan stellte das Gestotter ab, das aus dem Hörer drang, schob
das Handy in seine Tasche zurück und ging zur Landungsbrücke.
In der Tat war es sein Bruder Mac, eigentlich Robert, gewesen,
der ihm Cat Farrell wärmstens empfohlen hatte. Und es war gar
keine Frage, dass Duncan Macs Urteilsvermögen traute. Andernfalls
hätte dieser nicht auf seinen Großvater gehört und sie, ohne sie vor-
her gesehen zu haben, gebucht, nachdem der große MacGregor ihm
von ihr vorgeschwärmt hatte.
Wenn das Bild, das Cicero ihm geschickt hatte, nicht täuschte,
dann sah sie verdammt gut aus. Geschmeidig und sexy. Und das
Demo-Band, das er gleich mitgeschickt hatte, bewies seiner Meinung
nach, dass sie die zu ihrer Erscheinung passende Stimme besaß.
Aber das nützte ihm alles nichts, wenn diese Frau nicht endlich
auftauchte.
Ein Mädchen, das von der anderen Seite auf die Landungsbrücke
zugeschlendert kam, erweckte seine Aufmerksamkeit. Abgetragene,
ausgefranste Jeans, über der Schulter einen Rucksack, ausgetretene
Turnschuhe. Auf dem Kopf trug sie eine Baseball-Kappe mit Zebra-
muster, die sie sich tief in die Stirn gezogen hatte, und auf der Nase
eine Sonnenbrille mit runden Gläsern. Er seufzte auf. Was für ein
Jammer, dass Jugendliche heutzutage nicht mehr Sinn für Eleganz
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besaßen.
Er lief ihr schnell entgegen, um sie aufzuhalten, bevor sie die
Landungsbrücke betreten und womöglich noch an Bord gehen konn-
te.
„Tut mir Leid, Süße. Du kannst da nicht rauf. Für Kinder unter
drei allein kein Zutritt. Du musst also schon deine Eltern mitbringen,
wenn du mitfahren willst.“
Sie stellte einen Fuß vor, streckte eine Hüfte heraus und schob
mit einem Finger die Sonnenbrille ein Stück hinunter. Als er die
Augen dahinter sah, durchzuckte es ihn wie ein Stromschlag. Sie
waren von einem leuchtenden Grün, mit einem hauchdünnen golde-
nen Ring, der die Pupillen einschloss.
Noch ein paar Jahre, und allein die Augen würden jeden Mann in
die Knie zwingen, ging es Duncan flüchtig durch den Kopf. Zu sei-
ner Belustigung taxierten ihn diese Augen jetzt vom Haaransatz bis
zu den Zehenspitzen und wieder zurück, und das mit einer Arroganz,
der er seine Bewunderung nicht versagen konnte.
„Und wer sind Sie?“
Es sollte jedem weiblichen Wesen unter einundzwanzig verboten
sein, eine solche Stimme zu haben, entschied er. Dieser heisere,
verheißungsvolle Klang gehörte zu einer reifen und erfahrenen Frau.
„Ich bin Blade, der Besitzer dieses Schiffes“, sagte er und deutete
mit dem Kopf zur „Princess“ hinüber. „Und du bist willkommen,
wenn du volljährig bist, Schätzchen.“
Sie lächelte jetzt mit derselben Arroganz, mit der sie ihn gemus-
tert hatte. „Soll ich Ihnen meinen Ausweis zeigen, Blade? Irgendwo
da drin muss ich ihn haben.“ Sie hob die Hand und klopfte auf ihren
Rucksack. „Aber warum schenken wir uns das nicht, wo wir sowieso
ein bisschen spät dran sind? Ich bin Ihre Hauptattraktion, Süßer.“ Sie
hielt ihm die Hand hin. „Cat Farrell. Und ich bin letzten Monat fünf-
undzwanzig geworden.“
Er musterte sie verblüfft. Ja, jetzt sah er es. Das hieß, wenn er
seine Fantasie ein bisschen anstrengte. Die Augen hätten ihn warnen
sollen. Aber auf dem Foto hatte sie keine Sommersprossen auf der
Nase gehabt, und über ihre Schultern und ihren Rücken hatte sich
eine Flut roter Haare ergossen. Im Moment sah er keine Spur davon,
und er fragte sich, wie sie es wohl angestellt haben mochte, ihre
Löwenmähne unter diese scheußliche Kappe zu stopfen. „Sie sind
spät dran.“
„Wurde leider aufgehalten.“ Sie setzte ein strahlendes Lächeln
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