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Kapitel 1
Die Chefin
Der jüngste deutsche Sternekoch ist weiblich und heißt
Sybille Milde. Die 29-Jährige ist Küchenchefin in einem
Nobelrestaurant bei Frankfurt und schwanger.
Sybille Milde:
„Geschickt unter den Bauch manövriert.“
Mit der Schwangerschaft könnte ihre Karriere bald zu
Ende sein.
Sybille Milde:
„Ich bin jetzt in der Lage, in der
schwierigen Lage, ich bekomm’ jetzt ein Kind und ich
muss Familie und Beruf irgendwie unter einen Hut
bekommen und auch so unter den Hut bekommen, dass
ich noch am Ball bleibe.
Der Guschtl muss das so hinstellen, dass es hält.“
Gustl:
„In Ordnung, Chefin.“
Noch hat sie das Sagen und die überwiegend
männlichen Kollegen tun, was die Chefin verlangt.
Beruflich wie privat hat Sybille klare Vorstellungen.
Sybille Milde:
„Mein Traum sind fünf Kinder. Und ich
wollte immer schon viele Kinder haben. Und jetzt geht’s
los und, ähm, ich hoffe, ich … ich schaff’ das.
Kochen war für mich nie ’n Thema. Ich wollt’ nie Köchin
werden, das war, mh, da dran hab’ ich nich’ gedacht.
Und dann hatt’ ich, in der, ich glaub’, in der achten Klasse
muss man, musste man damals, so ’n Schülerpraktikum
machen, so zwei Wochen. Und zu der Zeit waren die
ganzen großen Jungs, die haben im Hotel gearbeitet.
Und dann hab’ ich halt ’n Praktikum im Hotel gemacht
und darunter musst’ man auch eine Woche in die Küche
gehen. Und die Küche war ja toll. Also, da waren nur
Männer und die waren direkt.“
Spitzengastronomie ist Männersache, das gilt auch
heute noch.
Sybille Milde:
„Es war … Männer, gut, das ist gut. Also
nicht, weil’s einfach das männliche Geschlecht ist,
sondern weil’s einfach direkt, ehrlich und offen und es
war einfach, es hat mir gefallen, ich hab’ mich da drin
wohlgefühlt. Und das hab’ ich bis heute nicht bereut.
Also, es ist toll.“
Sybille hat sich durchgesetzt in einer Männerwelt und
sie hat es weit gebracht.
Sybille Milde:
„Ja, also, ich hab’ ja immer mal so alles
gesammelt, was so in den ganzen Magazinen so da war.
Ich hab’ ja ’n riesen Haufen. Und angefangen hab’ ich mit,
äh, „Mein Stern 2005“. Bei den ersten, äh, Presseartikeln,
da war ich noch ganz aufgeregt, da hab’ ich dann auch
hier so ’n kleines Heftchen angelegt, noch ganz dünn und
zaghaft. Mittlerweile sind es ja hier Massen an Zeit-
schriften und ganz stolz bin ich so auf den allerersten
Artikel, den ’s über mich so gab, so groß, das war in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das war 2001. Da hab’
ich äh, bei der Chaîne des Rôtisseurs in der deutschen
Meisterschaft mitgekocht und, ähm, da waren sonst nur
Männer. Ich war auch das einzige Mädel, hab’ da auch den
dritten Platz gemacht. Und so ’ne ganze Seite in der FAZ,
das ist schon, also, war ich schon baff, und auch irgendwie
schon ’n bisschen stolz, dass ich, ooh … in so ’ner großen
Zeitung. Also, da war ich, war ich, noch gar nicht in aller
Munde, da hab’ ich nur so ’n paar Wettbewerbe gemacht
und war eigentlich noch ’n kleiner Hase.
Was ich auch ganz witzig fand, war hier: Es gibt so ’ne
Zeitung „Deutschland“, die wird dann weltweit
vertrieben, in den jeweiligen Sprachen. Und das ist
auch, find’ ich auch, ’n recht schönes Foto. Und da war
ich halt mit ganz vielen anderen berühmten Köchen
zusammen. Und das Witzige ist, ich steh’ hier ganz vorne
als Allererstes und der Koch Deutschlands, Harald
Wohlfahrt, steht hier als Allerletzter. Na ja, ladies first,
sagt man ja immer so schön.“
Erfolg macht auch neidisch. Andreas Eggenwirth liebt
Sybilles Kochkünste und kennt sich aus in der
Gastronomieszene. Er weiß, wovon er spricht.
Andreas Eggenwirth:
„Man bewegt sich als Frau in einer
absoluten Männerwelt, einer Domäne. Und so isses der
Frau Milde auch gegangen. Die kommt als Sterneköchin
hier in diesen Frankfurter Raum auf einmal ans Tages-
licht und keiner kennt sie. Ja, die sind erst mal alle über
sie hergefallen. ‚Wer ist denn Frau Milde, was will denn
Frau Milde hier bei uns? Die hat doch noch nie etwas
geleistet, so ungefähr.’ Da sind Bemerkungen gefallen,
die, kann ich nur sagen, die vollkommen daneben
waren. Das passte einfach nicht.“
Heute steht Sybille nicht in der Küche. Gemeinsam mit
Freund Daniel genießt sie ihren freien Tag.
Sybille Milde:
„Sag mal, Honey, wie sieht das eigentlich
mal aus mit Essen?“
Daniel:
„Ja.“
Sybille Milde:
„Ja.“
Daniel:
„Kömma machen.“
Sybille Milde:
„Ja, dann lass uns doch was bei der
Trattetoria bestellen.“
Daniel:
„Ja, gut. … Mamfi.“
Auch Daniel ist Koch. Aber ihre Küche bleibt heute kalt.
Schließlich haben beide Freizeit. Im Juli erwartet Sybille
ihr erstes Kind.
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Sybille Milde:
„Wenn ich gleich da rangeh’ und sag’:
‚Oh Mann, mit der Kohle, wie schaffen wir das? Können
wir überhaupt noch? Ist das noch möglich? Sollen wir?’
Dann würd’ keiner Kinder kriegen. Dann würd’ heut-
zutage niemand mehr Kinder kriegen. Die Mensch-
heit würd’ aussterben und des war’s. Und warum
sollen wir jetzt, also, nur wenn jetzt ein Gehalt
wegfällt, keine Kinder? Also, das, das stand irgendwie
nie zur Frage.
Daniel:
„Nö …“
Sybille:
„Gell?“
Daniel:
„… stand wirklich nie zur Frage. Außerdem muss
man ja irgendwie die Wirtschaft ankurbeln, damit
andere auch Geld verdienen.“
Trotz eines möglichen Karriereknicks, Sybille freut sich
auf ihr Wunschkind.
Sybille Milde:
„Man sagte zwar zu mir: ‚Warte doch noch
ein Jahr.’ Und dann sagt man im nächsten Jahr, sagt man
wieder zu mir: ‚Ach, warte doch ein Jahr, das läuft doch
grad so gut. Ach, jetzt warte doch noch mal ’n Jahr.’ Und
dann hab’ ich zehn Jahre gewartet und dann bin ich alt
und grau und lauf an Krücken und hab’ dann doch nich’
meine fünf Kinder gekriegt. Das war immer so was, das
wollt’ ich nicht. Also, das stand immer an erster Stelle.
Karriere kann ganz schnell vorbei sein und Familie bleibt
für ewig.“
Restaurantinhaber Thomas Hessler bedauert die
Entscheidung seiner Frontfrau.
Thomas Hessler:
„Ich würd’ ma’ sagen, sie wirft da
einiges weg. Für’n Moment. Vielleicht geht’s ma’
irgendwie bei ihr weiter, des weiß man ja noch nicht.
Aber so, wie ich das sehe, kommt vielleicht noch ’n
zweites Baby. Man weiß es nich’, ja. Sie hätte noch ’n
bisschen warten können. Mit 33 oder 34 ist es ja heute
auch üblich, dass Frauen Kinder kriegen. Aber es ist
wirklich ihre Entscheidung und ich hab’s akzeptiert und
ich lebe auch damit inzwischen.“
Reporterin:
„Aber es ist für sie doch ’n Karriereknick oder
wie sehen Sie das?“
Thomas Hessler:
„Also, für sie auf jeden Fall, ja, auf jeden
Fall, denke ich, ja. Weil sie hat die Basis nicht mehr, sie
hat die Basis nur, das Medieninteresse hat sie nur und
den Erfolg, wenn sie irgendwo am Herd steht. Und wenn
sie zu Hause Kinder wickelt, ist es wohl nicht mehr
interessant. Das ist ihr Problem jetzt.“
Sybille Milde:
„Zweimal … Oh, warte mal, … Moment,
Frau Simon, hier hat einer versucht, Teller zu putzen.“
In drei Monaten erwartet Sybille ihr Baby und wer ihren
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Job übernehmen wird, steht auch schon fest. Diesmal
soll es ein Mann sein.
Gast 1:
„Aber das hat also praktisch alles wunderbar
geschmeckt.“
Sybille Milde:
„Sehr schön, das freut mich.“
Gast 1:
„Echte Glanzleistung.“
Sybille Milde:
„Gut, super, danke. Danke für das Lob. Ich
wünsche Ihnen noch ’n schönen Abend.“
Doch bis dahin genießt sie als Sterneköchin noch jedes
Kompliment.
Sybille Milde:
„Hier schmeckt’s noch? Sie gucken so über
ihre Brille.“
Gast 2:
„Um das Essen zu schmecken, brauch’ ich keine
Brille. Es war fantastisch. Vielen Dank.“
Sybille Milde:
„Danke. Schön … Das freut mich.“
Gast 2:
„Wunderbar. … perfekte Abstimmung von
Speisen und Wein.“
Sybille Milde:
„Sehr schön. Geb’ ich auch weiter an den
Sommelier. Dann noch viel Spaß.“
Kapitel 2
Hotel Mama
Robert Zeisig:
„Meine Mama steht eigentlich fast extra
zwanzig Minuten oder ’ne halbe Stunde früher auf, um
mir in der Früh meine Brotzeit zu machen. Sie nimmt
nicht meine Wurst her, sondern ihre Sachen, also kostet
mich das eigentlich überhaupt nichts. Ich weiß es nicht,
warum sie’s macht, aber sie macht’s und des ist doch
verdammt schön, eigentlich.“
Robert:
„Gut’n Morgen Mama.“
Mutter:
„Morgen.“
Robert:
„Ach, du hast mir schon eine Brotzeit
hergerichtet, super. Mama, ich hab’ verschlafen, ich
muss fahren. Bis heute Abend.“
Robert Zeisig ist 32 Jahre alt und genau so lange wohnt
er schon Zuhause. Mutter Evi ist eine gute Köchin, ihre
Rouladen sind ein Traum. Vater Reinhold kümmert sich
um Haus und Hof. Warum sich von den Eltern trennen?
Robert:
„Man kommt heim, Essen ist fertig am Tisch.
Meine Mutter macht viel in meiner Wohnung, putzt,
mein Bett is’ immer gemacht. Wenn’s zum Waschen
gehört, des macht alles meine Mutter. Das ist einfach
von der Arbeit nach Hause kommen und eigentlich
Feierabend.“
Mutter:
„Auto-Steuer und Versicherung …“
Mama Evi kennt eben die Schwächen ihres Sohnes. Sie
weiß, was gut ist für den 32-Jährigen, und auch, was ihm
am besten schmeckt.
Robert:
„Nudeln.“
Mutter:
„I mag halt alles geordnet, dass alles seinen,
immer auf seinen Platz wieder kommt und da hat halt
der Robert überhaupt kein Interesse dran. Der lässt alles
liegen und stehen. Wenn er heimkommt, sein
Arbeitsklei…, sei’ Arbeitskleidung … Boden … oder
über’n Stuhl oder in irgendeine Ecke, die Schuhe …
runter … zack … stehen lassen.“
Robert:
„Ja, meine Mama sagt immer zu mir: ‚Jetzt musst
mal wieder Wohnung putzen.’ Und ich zöger’ des
meistens raus und sag, ja, ich mach’s am nächsten Tag,
ich mach’s am nächsten Tag, und irgendwann ist es
dann meistens so, dann kommt sie rauf, weil sie’s
aufregt, einfach, wenn ich nicht putze. Und des is’ dann
natürlich Bequemlichkeit, weil ich weiß im Endeffekt, sie
macht’s ja doch.“
Familie Zeisig bekommt Zuwachs. Nicole, genannt Niki,
19 Jahre jung, zieht zu Robert ins Dachgeschoss. Die
beiden wollen nächstes Jahr heiraten.
Nicole:
„Ich hab’ am Anfang ’dacht, er hat wirklich seine
ganz abgeschlossene, eigene Wohnung, aber es is’ ja
immer noch die Mama da mit im Spiel … und des war
dann scho’ schlimm. Und es gibt auch Leute, die sagen:
‚Ja, der Robert, der wohnt immer noch daheim.’ Und
von dem her hab’ ich’s schon g’wusst, aber ich hab’s
noch net so verstanden und als ich dann selber da war,
da hab’ ich’s dann erst mal mitgekriegt, wie schlimm des
eigentlich is’ teilweise.“
Mutter:
„Was?“
Nicole:
„Ja.“
Mutter:
„Was?“
Nicole:
„Weil die Mama immer da is’. Mama, Mama,
Mama.
Der Robert wird immer ein Mama-Kind bleiben und ich
glaub’, er möchte hier auch nich’ raus. Die Mama
kümmert sich um ihn, die Mama ist da, wenn er sie
braucht … und von dem her denk’ ich schon, dass er
Angst hat, dass er mal auf eigenen Beinen stehen muss
und dass die Mama dann nich’ mehr da ist.“
Angelika Leupelt ist 46. Vor sieben Jahren zog sie wieder
bei den Eltern ein, gemeinsam mit ihrem Sohn
Maximilian, der heute 11 Jahre alt ist. Mutter Renate und
Vater Herbert bestimmen alleine die Hausordnung – die
Tochter akzeptiert. Angelika Leupelt muss zu Hause
keinen Finger rühren, im Berufsleben aber ist Angelika
die Chefin.
Angelika:
„Zuhause ist es, äh, bin ich des, äh, kleine Kind,
was, äh, Befehle entgegennimmt, was, äh, Wünsche der
Eltern entgegennimmt, äh, und … äh … auch sich nach
ihren Regeln richten müssen, ob’s mir passt oder nicht,
ob sie sinnvoll sind oder nich’, aber ich schluck’s, weil
dafür wird für mein’ Sohn gut gesorgt. Ich komm’ nach
Hause, setz’ mich an Tisch – das is’, äh, Hotel pur.“
Mutter:
„Es fällt sehr viel an, weil die Angelika, die tut
leicht schwitzen und im Laden isses sehr warm und die
Papiere dürfen auch nit feucht werden und da zieht sie
sich jeden Tag um, manchmal zweimal und … ja … und
ich möchte auch, dass sie ordentlich aussieht. Bei uns
isses so, dass eigentlich ich die Chefin im Haushalt bin,
und anschaffen kann ich aber nur meinem Mann etwas.
Der Rest der Familie … im Haushalt … null. Also, ich bin
manchmal entsetzt, wenn ich nach oben gehe, wie’s da
aussieht. Und vor allen Dingen mein Mann, der schimpft
mich immer und sagt: ‚Du machst da oben nichts.’ Und
auch die Tochter sagt: ‚Lass mei’ Zeug in Ruhe.’ Und ich
kann’s aber nit. Ich geh’ dann hoch und, und mache so
einige Handgriffe.“
Den Abstand bei aller Nähe suchen zeitweise auch die
Eltern.
Vater:
„Auf eine Art möchte ich meine Freiheit ham und
auf der anderen Seite genieß’ ich das auch, gerade mit’n
Enkel, da mal ’n Radlausflug zu machen oder bissel
Fußball zu spielen, dann hätt’ ich’s manchmal ganz
gerne, wenn die zwoe, der Angelika und der Maximilian,
zwei Straßen weiter wohnen würden, dass ma’ uns nicht
so eng auf der Pelle hängen.“
Matthias Retzlaff, 35 Jahre alt, lebte kurze Zeit in einer
Wohngemeinschaft. Vor fünf Jahren zog er wieder
Zuhause ein. Sein dreißigjähriger Bruder Martin hat
noch nie woanders gewohnt. Mutter Gisela sieht es mit
gemischten Gefühlen, eigentlich möchte die
pensionierte Lehrerin ihre großen Söhne nicht
bemuttern.
Mutter:
„Im Grunde genommen find’ ich’s nicht gut,
dass die erwachsenen Söhne hier noch in meinem
Haushalt wohnen.“
Matthias:
„Vieles macht meine Mutter einfach und ich
würd’s auch machen, aber sie kommt immer zuvor, hat
mehr Zeit und … sozusagen wird man dann bisschen
hofiert oder bedient in Anführungszeichen.“
Mutter:
„Was ’n das für ein Chaos hier wieder?
Ja, also, des war jetzt wieder ein Ausrutscher und ich
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hoffe, der war jetzt nur einmal und dann nicht mehr.
Mich hat’s jetzt genervt. Ich hab’ so eine schöne neue
Garderobe und des will ich nicht – wenn ich da
vorbeigeh’ … ich halt’ des noch nicht aus.
Matthias!“
Matthias:
„Ja.“
Mutter:
„Du, ich möcht’ noch Wäsche waschen. Hätt’st
du noch was?“
Matthias:
„Ja … ui, gut, … wart ’n Augenblick.“
Matthias genießt die Vorteile der Rundumversorgung,
ein schlechtes Gewissen hat er dabei nicht.
Matthias:
„Leg’s dir auf die Treppe, ja?“
Mutter:
„Ja, okay.“
Martin:
„Ich denke eben auch, dass ich in meiner
Selbstständigkeit, in meiner Entwicklung da schon
eingeschränkt bin oder werde … mmh, was mit
Sicherheit anders wär’, wenn ich, äh, meine eigenen vier
Wände hätte. Ich denk’, ich bin, äh, auf so ’ner … auf der
Suche noch nach dem richtigen Pfad. Das Ausziehen
spielt da mit Sicherheit ’ne Rolle, ganz klar. Das is’ des,
was wohl als nächstes Projekt, sag ich mal, ansteht
irgendwann mal in … ferner Zukunft oder in näherer
Zukunft oder, oder … schwer zu sagen, weil ich nicht
weiß, wie sich, äh, irgendwas verändern wird.“
Mutter:
„Andererseits hab’ ich des ein bisschen gelernt,
dass ich diese Fürsorge wirklich abnehmen muss, denn
ich bin nicht mehr für diese erwachsenen Kinder
verantwortlich. Ich hab’ versucht, sie großzuziehen, und
ich will ja auch, dass sie selbstständig sind. Ich will ja gar
nicht, dass sie an dem Rockzipfel hängen und, und nach
der Mama schreien, vor allem, wenn dann die
Freundinnen kommen und sagen: ‚Um Gottes Willen,
was hast’n du mit denen gemacht? Jetzt muss ich die
erst erziehen.’“
Martin:
„Hallo.“
Mutter:
„Hi, Martin …
Der Verstand sagt so und das Herz sagt dann manchmal
ein bisschen anders.
… war ’n langer Tag für dich, gell?“
Martin:
„Ja.“
Mutter:
„Klar.
Das Herz sagt: ‚Ich find’s schön, weil ich’s manchmal
einfach genieße, wenn sie da sind.’“
Kapitel 3
Wie schmeckt’s denn so?
Wir essen mit allen Sinnen. Augen, Zunge, Nase
bestimmen unseren Geschmack. Das zeigt ein einfacher
Test. Wir wollen wissen, welche Farbe schmeckt süßer?
Frau 1:
„Das Rote.“
Frau 2:
„Der rote Gummibär schmeckt süßer.“
Mann:
„Das ist die Farbe mit Liebe und das ist auch …
das schmeckt mir besser.“
Farben verführen die Zunge. Im Geschmackslabor wird
getestet, wie die Augen darüber entscheiden, ob es uns
schmeckt oder nicht.
Dr. Mark Lohmann:
„Wir lassen uns ja sehr leicht
verleiten von den Sinnen. Und der erste Eindruck von
einem Lebensmittel ist ja meist ein visueller, das heißt,
wir begutachten erst einmal die Lebensmittel mit
unseren Augen und haben natürlich auch ’ne gewisse
Erwartungshaltung.“
Zu jeder Farbe passt ein Geschmack. Das weiß jedes
Kind. In diesen Bechern ist immer das Gleiche, mal rot,
mal grün, mal gelb gefärbt. Aber was wir sehen,
überdeckt, was wir schmecken.
Dr. Mark Lohmann:
„Was hast du beim grünen Saft
geschmeckt?“
Kind:
„Mmh, schmeckt nach Waldmeister.“
Stimmt und typisch für Waldmeister ist die grüne Farbe.
Dr. Mark Lohmann:
„Die Farbe muss auf jeden Fall
irgendwie zum Lebensmittel passen. Das muss also
stimmig sein mit den Erfahrungen, das wird natürlich
auch bei der Produktentwicklung ausgenutzt, wenn es
da zu Irritationen kommt, dann wird der Verbraucher
dieses Produkt auf jeden Fall ablehnen.
So, wir haben hier drei Zuckerstücke und ich möchte Sie
jetzt bitten, das erste Stück zu probieren mit
zugehaltener Nase.
Und wie ist da der erste Eindruck?“
Mann 2:
„Leicht salzig.“
Dr. Mark Lohmann:
„Und die Nase wieder öffnen. Was
haben Sie jetzt für einen Eindruck?“
Mann 2:
„Ja, so Himbeer. Himbeer. Mhm.“
Dr. Mark Lohmann:
„Wenn man sich die Nase zuhält,
dann erhält man keinen Aromaeindruck. Und wenn die
Nase sich öffnet, dann findet ein Luftstrom statt und da
werden die Riechrezeptoren aktiviert.“
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Vieles beeinflusst den Geschmack, wenig hat die Zunge
damit zu tun. Sie erkennt gerade mal süß, sauer, bitter
und salzig. Die Lebensmittelindustrie setzt daher auf
Farben, Formen und Düfte.
Dr. Mark Lohmann:
„Es ist natürlich relativ einfach,
Produkte herzustellen, die eine optimale Nährstoff-
zusammensetzung haben, aber unter Umständen gar
nicht schmecken. Also, die werden … die Leute werden
das dann unter Umständen nicht zu sich nehmen. Und
da sollte dann auch die Sensorik stimmen.“
Langweilig wäre das Essen, würden wir es nur mit der
Zunge schmecken. Genießer lassen sich daher gern in
die Irre führen.
35 Jahren bestaunen Besucher aus aller Welt die
Münchner Extremsportler.
Zuschauer 1:
„Das ist eigentlich ziemlich surreal, dass da
’n Surfspot mitten in der Stadt ist.“
Zuschauer 2:
„Ist schon mutig, da rein zu springen.“
Die Stars der Welle nehmen es gelassen. Einige genießen
ihr Publikum, andere konzentrieren sich einfach auf den
„Flow“.
Tanja Thaler:
„Am Anfang kommst du dir vor wie so’n
Affe im Zoo und irgendwann schaltest du’s aber weg,
also, ich muss auch sagen, ich bin ein Schisser, ich fahr’
immer nur mit Weste, obwohl ich jetzt wirklich schon
kontrolliert fall’ und … da schau’ ich nicht auf die
Touristen, da schau’ ich auf die Welle und aufs Brett und
die Steine, ist ja nicht ganz ungefährlich.“
Ob Eis oder Schnee, Regen oder Hitze, die Stadtsurfer
kennen kein schlechtes Wetter. Die Sucht nach der Welle
überwiegt auch im Winter.
Tanja Thaler:
„Also, ich war auch bei minus acht Grad
drinnen, ähm, aber da hat man die Welle für sich und
das ist eigentlich ganz schön.“
Denn was zählt, ist das „Eisbach-Gefühl“, die Faszination
am Surfen in der City und der Spaß am Sport.
Kapitel 4 Funsport – Surfen auf der
künstlichen Welle
Wilde Wellen, Extremsport und Gefahr – und das mitten
in der Großstadt. Das Citysurfen im Münchner Eisbach
ist nur etwas für die ganz Harten, für echte Kerle eben.
Surfer 1:
„Männer sind schon besser. Also, Frauen surfen
auch gut, aber die Männer, die machen halt mehr so
Tricks.“
Von wegen. Das lässt Tanja Thaler nicht auf sich sitzen.
Seit zehn Jahren surft die 33-Jährige im Herzen
Münchens. Raus aus dem Alltag und rauf auf die Welle.
Tanja Thaler:
„Also, das ist, das ist ’n Sport, das ist
Freizeit, das ist Runterkommen, also für mich ist es
wirklich, den Kopf frei kriegen.“
Freiheit, Schwerelosigkeit, Herausforderung. ‚Es ist wie
eine Sucht’, sagt Tanja. Sie arbeitet als Sozialpädagogin,
studiert an der Universität, verdient nachts als Tür-
steherin dazu und zieht ihren Sohn allein groß. Der Tag
ist durchgetaktet, aber fürs Surfen bleibt immer Zeit.
Tanja Thaler:
„Man baut alles andere drumrum. Also, ich
arbeite viel, ich studier’ auch wieder, aber … also Surfen
muss sein.“
Mitten durch München rauscht der Eisbach. Hier unter
der Brücke ist er nur etwa zehn Meter breit. Eingefasst
von steilen Betonwänden. Der Reiz am Extremen und
die Gefahr surfen hier immer mit.
Tanja Thaler
„Es geht. Also, Bekanntschaft mit den
Steinen macht jeder mal, natürlich passieren Unfälle,
aber die passieren in jeder Sportart.“
Längst ist die Welle an der Prinzregentenstraße eine
Touristenattraktion und steht in jedem Reiseführer. Seit
Kapitel 5
Hochbegabte Kinder
Das Konzert a-Moll von Charles Berlioz ist derzeit Lottas
Lieblingsstück. Anspruchsvoll für eine Siebenjährige,
nicht aber für Lotta. Als sie mit drei Jahren beginnt,
auswendig Melodien nachzuspielen, merken die Eltern,
dass ihre jüngste Tochter anders ist als die Geschwister.
Zunächst herrschte Ratlosigkeit.
Mutter:
„Als wir die Leistung gesehen haben, die Lotta
bringt, äh, ja, zuerst am Klavier, waren wir schon sehr,
sehr, äh, geschockt und auch erst mal, ja, ähm, atemlos.
Und die Ereignisse überschlugen sich.“
In einem Alter, in dem andere Kinder zur musikalischen
Früherziehung gehen, bekommt Lotta Einzelunterricht
im Geigenfach. Daneben fällt ihre ungebremste
Wissbegierde auf. So bringt sie sich mit drei Jahren
selbst das Lesen und Schreiben bei.
Lotta:
„Hab’ ich mir ein Buch genommen und dann hab’
ich einfach mal probiert, die Buchstaben herauszu-
finden, hab’ ich das einfach mal probiert. Ich weiß jetzt
auch nicht so richtig, wie ich das herausgefunden hab’.“
Schon nach wenigen Monaten fängt sie an, sich im
Kindergarten zu langweilen.
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